Kirchenmusiker:innen trafen sich zum Fachtag zu sexualisierter Gewalt

Wed, 23 Apr 2025 08:18:27 +0000 von Bettina Sangerhausen

© Gunnar Müller
Ein Beitrag von Gunnar Müller, Öffentlichkeitsbeauftragter im Sprengel Hildesheim-Göttingen:
Sexualisierte Gewalt ist ein Thema, das in allen Bereichen der Kirche Aufmerksamkeit und verantwortungsvollen Umgang erfordert – auch in der Kirchenmusik. Erstmals widmete sich ein Fachtag in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers gezielt diesem Thema aus der Perspektive hauptamtlicher Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker. Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder begrüßte die Teilnehmenden und unterstrich die Bedeutung des Treffens: „Viele von Ihnen haben bereits an Schulungen der Präventionsstelle teilgenommen. Doch dieser Fachtag ist in der Landeskirche bisher einmalig, weil er die besondere Perspektive der Kirchenmusik aufgreift. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und der Fachstelle für ihre Begleitung.“

Die Dynamik von Macht und Ohnmacht

25 Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker aus dem gesamten Sprengel Hildesheim-Göttingen kamen in der Hildesheimer Michaelisgemeinde zusammen, um sich mit den Dynamiken von Macht und Ohnmacht in musikalischen Arbeitskontexten auseinanderzusetzen. Begleitet wurde die Veranstaltung von Pastorin Petra Eickhoff-Brummer und Wiebke Seedorf von der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche.
Die Teilnehmenden berichteten von Erfahrungen, tauschten Fragen aus und diskutierten konkrete Lösungsansätze. Gerade in der Kirchenmusik entstehen spezifische Nähe-Distanz-Konstellationen: regelmäßige Chorproben, Wochenendfreizeiten, Unterrichtssituationen oder auch die räumliche Gestaltung der Probenräume bringen besondere Herausforderungen mit sich. Hinzu kommen informelle Machtasymmetrien – etwa zwischen Kantor*innen, Ehrenamtlichen und Gremienmitgliedern –, die eine besonders achtsame Haltung im Miteinander erfordern.
Der Fachtag knüpfte an einen Dialogprozess an, der im vergangenen Jahr durch ein Treffen der Regionalbischöfin mit Kirchenmusikdirektorin Angelika Rau-Čulo (Nordbereich des Sprengels) in Hildesheim angestoßen wurde. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, Kirchenmusikdirektor Detlef Renneberg (Südbereich) setzte sie sich für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema im Bereich der Kirchenmusik ein.
Auch Landeskirchenmusikdirektor Benjamin Dippel betonte die Bedeutung dieses Austauschs:
 „Dieser erste Fachtag war ein wichtiges Zeichen dafür, dass wir in der Kirchenmusik Verantwortung übernehmen, hinschauen und unser musikalisches Wirken in einen sicheren Rahmen stellen wollen. Unser Ziel ist es, flächendeckend Schutzkonzepte speziell für den Bereich Kirchenmusik und einen Verhaltenskodex zu etablieren, um präventive Strukturen zu schaffen und die Sensibilität für das Thema weiter zu stärken.“
Dass dieser Kodex nicht von oben verordnet, sondern von den Kirchenmusiker*innen selbst entwickelt werden soll, ist dabei ein zentrales Anliegen. Die Kollegenschaft möchte aus der Praxis heraus tragfähige Haltungen und Leitlinien erarbeiten – ein Schritt hin zu mehr Eigenverantwortung und gelebtem Kulturwandel.
Die Veranstaltung bot Raum für offene Fragen und den Austausch über Herausforderungen im Alltag. Mit ihren Impulsen schufen Renneberg und Rau-Čulo eine wertvolle Gelegenheit, das Bewusstsein für das Thema sexualisierte Gewalt in der Kirchenmusik weiter zu schärfen.
Besonders hervorgehoben wurde auch die Rolle der hauptamtlichen Kirchenmusiker*innen als Multiplikator*innen: Sie begleiten Ehrenamtliche – etwa in Chören oder musikalischen Gruppen – und tragen Verantwortung für einen geschützten Rahmen. Der Fachtag zeigte, wie wichtig es ist, Unsicherheiten offen zu besprechen und praxisnahe Fallbeispiele in den Blick zu nehmen.
„Verantwortung und eine entsprechende Haltung samt des Kulturwandels schaffen wir – auch im Bereich der Kirchenmusik – nur gemeinsam im Team und indem wir eine Kultur der Achtsamkeit einüben. Damit sind wir vermutlich nie fertig, das wird ein lebenslanger Lernprozess sein“, so Angelika Rau-Čulo.
Quelle: Gunnar Müller
Kirchenmusikdirektorin Angelika Rau-Čulo

Achtsamkeit in der Kirchenmusik: Verantwortung, Prävention und der Weg zu einem sicheren Miteinander

Interview von Gunnar Müller mit Kirchenmusikdirektorin Angelika Rau-Čulo (Sprengel Hildesheim-Göttingen, Nordbereich) 

Die Fachstelle bietet Schulungen an, im Dezember gab es ein gut besuchtes Barcamp zu diesem Thema. Was unterscheidet den Bereich der Kirchenmusik noch einmal besonders? Warum erschien Ihnen ein separater Fachtag wichtig?

Rau-Čulo: Trotz der vielen guten Angebote der Landeskirche gibt es im Bereich der Kirchenmusik spezielle Fragestellungen, die sich nicht einfach übertragen lassen – etwa Unterrichts- und Coaching-Situationen in der Ausbildung, Chorproben, Probenwochenenden, räumliche Bedingungen oder Machtasymmetrien in kirchlichen Gremien. Verantwortung und eine entsprechende Haltung entwickeln wir nur gemeinsam – durch Teamarbeit und eine Kultur der Achtsamkeit. Dazu gehört auch eine machtsensible Sprache in Proben und Gesprächen. Das ist kein abgeschlossener Prozess, sondern ein lebenslanges Lernen.

Die meisten Musiker*innen haben bereits an einer Grundschulung teilgenommen. Welchen Mehrwert bot der Fachtag dennoch? Was ist konkret passiert?

Rau-Čulo: Die Grundschulung vermittelt wichtige Basics – aber für uns Kantor*innen im Sprengel Hildesheim-Göttingen war der Fachtag ein erster Schritt zur vertieften Auseinandersetzung mit berufsgruppenspezifischen Themen. Besonders der Austausch in kleinen Gruppen und das vertrauensvolle Miteinander waren wertvoll.
Wir verstehen diesen Tag als Auftakt: Gemeinsam möchten wir einen Verhaltenskodex Kirchenmusik erarbeiten – aus der Praxis heraus, nicht von oben vorgegeben. Dazu gehören auch Handreichungen zur Risikoanalyse und die Entwicklung konkreter Schutzkonzepte.

Neben den rund 30 hauptamtlichen Kirchenmusiker*innen im Sprengel gibt es viele Ehrenamtliche – von Organist*innen bis Chorsänger*innen. Wie können auch sie einbezogen und sensibilisiert werden?

Rau-Čulo: Als Multiplikatorin ist es mir wichtig, Wissen weiterzugeben – ohne Angst zu machen. Ich höre zu, gehe ins Gespräch und erarbeite gemeinsam mit Ehren- und Nebenamtlichen eine verantwortungsvolle Haltung. Wir arbeiten mit konkreten Fallbeispielen aus dem kirchenmusikalischen Alltag. Das Thema ist mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden – das erlebe ich überall. Aber es hilft, wenn man merkt: Ich bin damit nicht allein. Austausch und Solidarität sind entscheidend. Mein Motto: Hinschauen – Helfen – Handeln.
Bestätigen

Bist du sicher?