Direktor des Instituts für Soziologie: Elend der Göttinger Wohnungslosen steigt

Sun, 10 Sep 2023 22:00:00 +0000 von Jeanine Rudat

Im Kirchenkreis Göttingen-Münden kümmern sich unter anderem die Straso und die Bahnhofsmission um Wohnungslose
Zum Tag der Wohnungslosen heute (11.09.) macht der Direktor des Instituts für Soziologie der Universität Göttingen, Timo Weishaupt, auf das gestiegene Elend der Wohnungslosen aufmerksam.

Anfang August veröffentlichte das Statistische Bundesamt die neusten Zahlen zum Ausmaß untergebrachter wohnungsloser Menschen in Deutschland. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl mit 378.000 Menschen mehr als verdoppelt. Ein großer Teil ist der Fluchtbewegung aus der Ukraine und anderen Krisenländern geschuldet, aber auch die Zahl der untergebrachten wohnungslosen Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit ist deutlich angestiegen. Die Dunkelziffer, also die Zahl derjenigen, die wohnungslos aber nicht untergebracht sind, ist noch wesentlich höher. Die ursächlichen Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielseitig, der massive Anstieg aber hängt ohne Zweifel mit den immer stärker angespannten Wohnungsmärkten in Städten und Ballungsgebieten zusammen, verursacht durch immer höhere Mieten und stark angestiegenen Energiepreisen. Zumal der von der Bundesregierung geplante Bau von sozialem und bezahlbaren Wohnraum ins Stocken geraten ist.
„Auch in Göttingen steigen die Zahlen, die Problemlagen der Menschen verschärfen sich und das Elend wächst“, erklärt Timo Weishaupt, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Soziologie, der seit mehr als zwei Jahren Obdach- und Wohnungslosigkeit in Göttingen erforscht.

Mike Wacker, der Leiter der Straßensozialarbeit kennt die Gründe des menschlichen Elends nur zu gut: „Obdachlosigkeit macht krank! Wenn jemand tatsächlich draußen nächtigen muss, belastet das körperlich und seelisch ungemein. Menschen, die draußen schlafen, haben aufgrund der vielfältigen Belastungen eine deutlich geringere Lebenserwartung als der Durchschnitt der Bevölkerung. Eklatante gesundheitliche Einschränkungen und damit oftmals einhergehendes frühzeitiges Versterben von Menschen, die obdachlos sind, beobachten wir leider auch in der Wohnungslosenszene in Göttingen!“ 

Melanie Bornemann, die Heimleiterin des Hauses am Holtenser Berg führt, auch im gängige Vorurteile auszuräumen, weiter aus: „Viele unserer Klienten haben negative Schufa Einträge. Genau diese Fehler der Vergangenheit werden Ihnen bei der Wohnungssuche immer wieder zum Verhängnis. Auch der Göttinger Wohnungsmarkt ist ein hart umkämpftes Pflaster. Und so kommt es nicht selten vor, dass Menschen trotz einer neuen Arbeitsstelle und viel Engagement ihr Leben zu verändern, im Hilfesystem verbleiben müssen.“ Genau deswegen fordert Mike Wacker, „dass die Verfügbarkeit von niedrigpreisigem Wohnraum durch mehr sozialen Wohnungsbau erheblich gesteigert werden und das Recht auf eine Wohnung gesetzlich geregelt werden müsste. Denn Jeder Mensch hat meines Erachtens nach das Recht auf eine Wohnung!“ 

Um in akuten Wohnungsnotfällen das Leid zumindest ein wenig zu lindern, berichtet Andreas Overdick, Leiter der Bahnhofsmission Göttingen, von neusten Entwicklungen in seiner Einrichtung: „Wir haben die Öffnungszeiten seit dem 1. September ausgeweitet und führen jeden Dienst mit drei anstatt mit zwei Freiwilligen durch. Einerseits ist der gestiegene Bedarf an Aufenthaltsräumen in Göttingen der Grund dafür. Andererseits brauchen unsere Gäste mehr Zeit von den Mitarbeitenden der Bahnhofsmission, weil ihre Probleme sich ausgeweitet haben und schwieriger geworden sind.“

Am 7. März 2024 stellt Professor Weishaupt mit seinem Team die Ergebnisse seines Forschungsprojekts im Tagungszentrum in der Sternwarte vor. Die Veranstaltung wird öffentlich sein. Um Voranmeldung wird gebeten, sobald das Programm veröffentlich sein wird.  

Text: J. Timo Weishaupt, Ph.D., Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Sozialpolitik an der Uni Göttingen
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